Events am Abgrund – Timo Holstein über die prekäre Lage der Veranstaltungswirtschaft!

Events am Abgrund – Timo Holstein über die prekäre Lage der Veranstaltungswirtschaft!

Die Corona-Pandemie hält die Veranstaltungswirtschaft im Würgegriff. Im Jahr 2020 sind die Events, Volks- und Dorffeste, die Vereinsveranstaltungen meistens abgesagt worden. Traditionelle, regionale Veranstaltungen wie “Rhein in Flammen” – Koblenz, “Jahrmarkt” – Bad Kreuznach oder das “Winzerfest” – Bingen, aber auch die “Johannisnacht” oder die “Fassenacht” in Mainz wurden abgesagt. Das hat zur Folge, dass die Veranstaltungswirtschaft, die Comedians, Bands, Solo-Künstler, Event-Agenturen, Vereine ohne Einnahmen dastehen und die Lage wird für diesen Teilbereich immer ernster und nicht wenige kämpfen um ihre Existenz, bzw. ihr wirtschaftliches Überleben. Wir sprachen mit Timo Holstein, Inhaber von “eigenArtevents.com”, einer national bekannten in Rheinland-Pfalz (Kirchheimbolanden) ansässigen Eventagentur, die aber auch namhafte deutsche Künstler, wie beispielsweise die Band “Glasperlenspiel” oder „Michael Schulte“ und „Lauro Kloos“ managt.

Herr Holstein, wie schätzen Sie die Unterstützung der Politik ein?

Timo Holstein: Es hat schlussendlich Monate benötigt, um im bilateralen Austausch mit der Politik, sowohl auf Bundes- wie auch Landesebene, die Diversität und Funktionsweise unserer Branche zu erklären. Kultur (teilweise durchweg subventionierte Kultur) ist das Eine, die Vielfalt der Veranstaltungswirtschaft das Andere. Hier herrschte lange Zeit ein trügerisches Bild, wer eigentlich betroffen ist. Seit November habe ich das Gefühl, dass durch das Einwirken vieler Player und durch den intensiven Austausch, langsam das Bild geschärft ist, denn die nachwirkende Modifikation der sog. Novemberhilfen – einst als Gastrohilfen geplant – kommt nun vermehrt auch bei der Veranstaltungswirtschaft an. Aber es bleibt ein langer Weg, denn schon wieder gilt es, Stellschrauben der Überbrückungshilfe III, und sogar rückwirkende Verschlimmbesserungen im Auge zu halten.

Kommt die auch am Ende bei Ihnen an und ist sie nicht eigentlich gering?

Timo Holstein: Die Gelder aus den Überbrückungshilfen flossen, wenn auch nach enormen bürokratischen Hürden. Es steht derzeit zu befürchten, dass durch eine auf den ersten Blick marginale Änderung der Formulierungen der sog. FAQs, die aus „Kosten“ nunmehr „untergedeckte Kosten“ macht, Teile der Gelder jedoch unberechtigt geflossen sind. Da sind wir auf vielen Ebenen dran, dies zu klären. Derzeit drückt bei vielen Branchenplayern wie auch der Hotellerie/Gastronomie der „Schuh“, dass durch vermeintliche Softwarehürden die Novemberhilfen derzeit nur als Anzahlung ausgeschüttet wurden, ferner von den Dezemberhilfen noch lange nichts in Sicht ist.  Das stellt Viele gerade zur Jahreswende vor enorme Aufgaben, denn im Vergleich zu anderen Branchen, auch dem erst kürzlich geschlossenen Einzelhandel, stellt sich bei der Veranstaltungswirtschaft die Situation so dar, dass wir de facto seit März 2020 in einem Lockdown sind. Von kleineren Partnern, den sog. Soloselbständigen, auch Berufsmusikern als „one man show“ und dem Umgang mit deren Hilfen ganz zu Schweigen. Dass hier weiterhin zur Grundsicherung geraten wird, ferner die Einmalhilfen hier mit 5.000 € für 7 Monate, ohne Berücksichtigung der Ausfall-Monate März bis November 2020, eher einem Tropfen auf den heißen Stein oder gar Almosen nahe kommen, stellt ein enormes Problem dar.

Wie hoch im Vergleich zur Corona-Hilfe waren Ihre geschätzten Ausfälle dieses Jahr?

Timo Holstein: Wir haben Umsatzrückgänge von über 90% in diesem Jahr zu verzeichnen. Das bis dato geflossene Geld – das zugegeben sehr probate Mittel der Kurzarbeit – deckt in meinem Fall keine 10 % meines Jahresvolumens. November & Dezemberhilfen und deren finaler Zahlungseingang mal außen vor.

Und wie haben Sie bisher überlebt?

Timo Holstein: Wir haben das Glück, dass wir durch unsere breite Aufstellung der 3 Geschäftsfelder (regionaler Technikverleih, Beratung von Kommunen & Verbänden in Veranstaltungs- & Marketingfragen und klassisches Artist Management) diverse Erlösfelder haben und in den letzten 5-8 Jahren, gerade im bundesweiten Musikmanagement und mit den von uns betreuten Top-Bands, wie Michael Schulte (ESC-Star & Bambi Gewinner / „You let me walk alone“) und Glasperlenspiel („Echt“, „Geiles Leben“), einfach gesund da standen und auf Rücklagen zurück greifen konnten. Wir überleben als „Gemischtwarenladen“ diese Krise bis in den kommenden Sommer. Vielen Mitspielern, spezialisierten Unternehmen und Soloselbständigen wie aber auch Veranstaltern und Clubs droht jedoch, dass dann am Ende jeder Zwölfte die Pandemie nicht überlebt hat. Die Insolvenzen häufen sich, viele gut ausgebildete Techniker beispielsweise orientieren sich derzeit beruflich anderweitig. So kann es sein, dass beim Restart einfach ein Großteil der Player und Dienstleister verloren gegangen ist.

Ursprünglich waren nur die Solo-Künstler und Künstler berücksichtigt, aber es hängen ja viel mehr Menschen von der Existenz der Veranstaltungsbranche ab?

Timo Holstein: Die viel zitierten Solos waren auf dem Papier berücksichtigt, da kam aber weniger an, als beim Mittelstand, der ob

Einzelunternehmen oder beispielsweise inhabergeführte GmbH mit Angestellten, per se durch die Überbrückungshilfen früher bedacht wurde. Ich habe 3 Mitarbeiter/-innen und konnte hier Teile der Gelder geltend machen. Viele „Kleinere“ kämpfen jedoch ums nackte Überleben. Ich bleibe dabei: Die Grundsicherung ist kein probates Mittel für einen Techniker oder Berufsmusiker in der Pandemie.

Wie war 2020 ausgehend vom Frühjahr bis jetzt für Sie als Veranstalter / Manager?

Timo Holstein: Eine Katastrophe. Denn auch die Hybrid-Konzerte des zurückliegenden Sommers – ob im Autokino oder als Picknick-Open Air – waren gelinde gesagt ein Tropfen auf dem heißen Stein, mehr good will. Sowohl von den Veranstaltern, meist sogar Technikunternehmen, die ihre Lagerware für kleinstes Geld auf die Plätze brachten, aber auch von den Acts, die unterpreisig spielten, um ihre Crews und Mietmusiker zumindest ein wenig zu unterstützen. Kaufmännisch waren diese Konzerte für alle Seiten kein Zukunftsmodell. Das von vielen Medien als Heilsbringer ausgerufene Streaming ist für uns, bei allem hehren Ansatz der Fanbindung und „Unterhaltung“, jedoch auch kein Allheilmittel. Musik, Erlebniswelten, all das bedarf „echter Menschen“ vor der Bühne. Das Streaming mag in B2B-Veranstaltungen künftig vermehrt Einzug halten, aber für den Endverbraucher und die Wertschöpfungskette der Veranstaltungswirtschaft ist das hoffentlich keine Zukunft. Fragen wie Lizenzen Dritter, wie der Urheberschaft, wurden bei vielen Pandemie-Streamings vernachlässigt.

Aber Ihre Künstler (wer, was, wann, wo) waren produktiv?

Timo Holstein: Michael Schulte veröffentlichte mit „For a Second“ seinen nächsten Top 10 – Radio-Hit in dem Jahr und war trotz Corona und all den Sicherungsmaßnahmen rund 50 Drehtage als Coach/Host bei THE VOICE OF GERMANY zu erleben. Er spielte, wie Glasperlenspiel, zudem rund 2 Dutzend Hybrid-Open Airs. Carolin und Daniel aka Glasperlenspiel waren derzeit viel im Studio, produzierten neue Musik. So erscheint schon Anfang Januar 2021 mit „Sonne“ deren neuer Song. Open Airs in 2021 sind bei beiden Themen in Vorbereitung.

Es wurden viele Veranstaltungen abgesagt – was bedeutet das im Einzelnen für Sie als Manger / Veranstalter?

Timo Holstein: Im Endeffekt haben wir hier 65 Termine in GER/AUT/CH abgesagt oder verlegt bekommen. Events teils mehrfach umgeplant, um sie dann doch ersatzlos und ohne jeglichen Kostenansatz abgesagt zu bekommen. Der föderale Flickenteppich der Stornos und der Umgang damit, machte dies nicht einfacher.

Meinen Sie 2021 wird besser? 

Timo Holstein: Indoor-Events in den Quartalen 1 und 2 wird es sicher nicht geben. Vor Sommer 2021 wird an eine wie auch immer geartete Normalität und kaufmännisch relevante Veranstaltungen nicht zu denken sein.

Sie sind IMUC Finanzvorstand, was ist der IMUC und inwieweit war er für die Hilfen mitverantwortlich?

Timo Holstein: Der IMUC ist der Zusammenschluss von rund 60 der führenden Musikmanager Deutschlands (www.imuc.de) . Wir beteiligten uns neben anderen Verbänden wie dem BDKV, ISDV, VPLT intensiv an dem politischen Diskurs mit Berlin, aber auch auf Landesebene. Bekannt wurde sicher der Zusammenschluss #Alarmstuferot, die Kollegen halten hier federführend die Fahne hoch. Wir im Kleinen haben den RUNDEN TISCH der VERANSTALTUNGSWIRTSCHAFT Rheinhessen/Pfalz gegründet, um uns in Mainz Gehör zu verschaffen.

Was war Ihre Aufgabe in den Verhandlungen? 

Timo Holstein: Im Endeffekt waren es Monate des Aufrüttelns, der Hinweise, wie unsere Branche aufgestellt ist, wie divers die rund 1,5 Mio. Arbeitnehmer und Selbständige der Veranstaltungswirtschaft als sechstgrößte Wirtschaftskraft des Landes funktionieren. Zuletzt bedurfte es bei den sog. Novemberhilfen wirklich vieler Fallbeispiele, die der Politik die Arbeitsweisen und auch die Kausalkette der Dienstleister von Events förmlich erklärte…

Sehen Sie, dass die Politik die Branche versteht und wenn nein, was muss dabei auf Politik-Ebene berücksichtigt werden?

Timo Holstein: Es brauchte eine lange Zeit, unterdessen fühlen wir uns zumindest „gehört“ und teilweise auch „verstanden“, aber es bleiben noch dicke Bretter zu bohren.

Timo Holstein ist Inhaber und Geschäftsführer von „eigenArtevents.com“. Das Unternehmen steht seit 25 Jahren für kunden- und künstlerorientierte Dienstleistungen von Events jedweder Ausrichtung. Das Erfolgsrezept sind innovative Ideen und nachhaltige Veranstaltungskonzepte sowie ein belastbares Netzwerk zu Medien, Veranstaltern und Kommunen. Die vier tragenden Säulen sind:
a) Full-Service-Eventagentur: Ton- / Lichttechnik, Personal, Promotion und Bewerbung
b) Künstlerbooking: Musik, Shows, Musicals, Gala, Moderation
c) Management: eigenArtevents betreut namhafte Künstler aus der deutschen Künstlerszene.
d) Consulting für Kommunen, Vereine und Verbände (Kulturmanagement, Event-Konzeption, Bewerbung)

(Interview: Marc Mutert, 11.01.2021)

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