Hörfunk versus Digitalisierung – oder wo steht das Radio heute

Hörfunk versus Digitalisierung – oder wo steht das Radio heute

Eine der Sternstunden des Livemediums Radio war sicherlich der Brand der Hindenburg in Lakehurst (USA) am 6. Mai 1937. Dann kam der Volksempfänger und die Propaganda der Nazis. Nach dem Krieg lief neue Musik zuerst einmal im Radio. Von den 1970ern bis in die 1990er nahmen die Jugendlichen ihre Musik aus dem Radio auf Kasetten auf. Raubkopieren war damals noch kein Thema. Auch am 11. September 2001 kamen die Neuigkeiten zuerst aus dem Radio. Der Hörfunk war das schnellste Medium und es war live. Keine Aufzeichnungen oder gecastete, vorprogrammierte Programme. Der Hörfunk etablierte sich unglaublich schnell in der Gesellschaft. Im Vergleich zum Internet sogar schneller.
Der Moderator war Kumpel, Disc-Jockey, Entertainer und Journalist in einer Person. Es war trendig, unterhaltsam und es lief wirklich überall: im Auto, in der Werkstatt, im Büro, auf der Baustelle und natürlich zu Hause bei Mutti.

Radio als Konvergenz- und Massenmedium scheint unkaputtbar und es entwickelt sich immer weiter. Es ist fähig sich mit allem zu verbinden und anzudocken: als Content- oder Musik-Stream bei Spotify der als sendereigenes Podcast- und Themenforum bei Clubhouse.

Und doch hat das Radio durchaus auch schwierige Zeiten durchlebt. Die durschnittliche Radionutzung sinkt seit dem Siegeszug des Worldwide-Web kontinuierlich und auch die Umstellung von UKW auf DAB+ scheint den Radioverantwortlichen eher schwer zu fallen; in Anbetracht sinkender Hörerzahlen, und einer stetigen Abwanderung der werbetreibenden Wirtschaft.

Als Begleitmedium wird es jedoch gerade in der „Prime Time“ (von 6:00 Uhr bis 9:00 Uhr am Morgen) oder der „Drive Time“ (in der Zeit nach Feierabend auf dem Weg nach Hause) stark frequentiert. Der Service-Gedanke steht hier im Fokus. Das Geschehen des Tages, Nachrichten, Wetter und Verkehr, Sport, Informationen kurz und knackig präsentiert.

Allerdings bietet das Internet-Radio, als größter Konkurrenz zur terrestrischen UKW oder DAB+ Verbreitung, eine unerschöpfliche Vielzahl an Programmen, die nicht staatlich reguliert werden. Die günstigen Datenpakete und Smartphones, die sich mit allen anderen Geräten problemlos verbinden , beschleunigen einen weiteren Rückgang bei den Höhrerzahlen. Die größten Mitbewerber sind heute nicht mehr die anderen Sender im Overspill-Gebiet oder der Wettkampf zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Stationen, sondern es sind Angebote wie Clubhouse, Spotify, Youtube oder iTunes.

In der Zeit des Worldwide-Web ist der Hörfunk zu einem Nonfokus-Medium herabgesunken. Seine Kernkompetenzen werden in einer stetig vernetzten und globalen Welt zu einem Nischenfaktor. Gerade die Dialogfähigkeit, im Vergleich zu anderen Medienkanälen, wurde nie ernsthaft gewünscht oder realisiert. Aber gerade diese Nischen- und Konvergenzfähigkeit sichert das Überleben. Denn als perfektes, nicht belastendes Sekundärmedium ist es für die Fähigkeit des Multitaskings bestens gerüstet.

Im Jahr 2020 hörten gut 53 Millionen Menschen Radio. Das entspricht ca. 75,5 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren. Die Verweildauer lag bei 259 Minuten.
Die großen Vermarkter von Radiowerbung die ASS – für die öffentlich-rechtichen Medien – oder RMS – für die privaten Stationen – sehen noch kein Problem. Doch das durchschnittsalter steigt stetig an. Aber die Global-Player wollen mitverdienen und sie sind in der Lage regionale Werbung punktgenau auszuspielen. Die Alleinstellung von regional-lokalen Hörfunkstationen gerät zunehmend ins Wanken.

Das regulatorische System in Deutschland muss hier schnell nach neuen Lösungen suchen. Wie bei den Printmedien rücken die Hörfunkstationen mehr und mehr zusammen und suchen nach Überlebensstrategien. Synergien sind relevant, Kostensenkung, Fusionierungen und damit Reichweitensteigerungen. Noch sind die Senderformate lukrativ, doch auch nur weil Radio immer günstiger produziert werden kann. Doch langfristig heißt dies, dass es immer wichtiger wird die Kosten zu senken, was wiederum zu einem Qualitätsverlust führt und damit in eine Abwärtsspirale. Weniger Qualität, weniger Hörer, weniger Hörer, weniger Werbeeinnahmen, weniger Werbeeinnahmen, höhere Kostensenkungen. Eine metastasierende, betriebswirtschaftliche Abwärtsspirale.

Radio, genauso wie die Schallplatte oder andere Dinge wird immer ihre Fans finden und als verklärtes Medium überleben, doch die goldenen Jahre verblassen mehr. Irgendwann wird es nicht mehr golden glänzen sondern sich dem Rostfraß stellen müssen und dies auf breiter Ebene bei der staatlichen Medienregulation, den Betreibern der Sender, bei den Sendeformaten, beim Qualtitätsjournalismus und der Moderatorenauswahl. (10.02.2023, Marc Mutert)

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