Advertorials, PR-Artikel und Anzeigen mit werblichem Content
(13.04.2021, Kommentar von Marc Mutert)
Gestern las ich den taz-Artikel „Wenn Anzeigen zu Inhalten werden“. Daraus wird deutlich, wie sich der Content von Werbeanzeigen über Advertorials zu PR-Artikeln weiterentwickelt hat.
Waren es früher noch Inhalte, die im regionalen angesiedelt waren, wie die Eröffnung eines neuen Industriewerks oder der Präsentation eines neuen Produkts mit lokalem Bezug, sind es heute mehr und mehr rein werbliche Aussagen. In der Vergangenheit wurden solche Artikel von professionellen Journalisten verfasst, die auch gegenteilige Meinungen einfließen ließen.
Heute jedoch finden wir – sowohl in Zeitungen wie auch im Web – das kleine Wort „Anzeige“ oder „Advertorial“ über dem ein oder anderen Beitrag, der leicht übersehen werden kann. Genau hier liegt das Problem, denn diese Beiträge sind faktische Werbung als redaktionelle Berichte getarnt. In der geschäftigen Hektik des Alltags mancher Mediennutzer verschwimmen die Konturen mehr und mehr.
In vielen Redaktionen der klassischen Medien aus Print und Fernsehen gibt und gab es klare Abgrenzungen zwischen Werbung und Redaktion. Diese klaren Grenzen werden aber aufgeweicht, denn der Umsatz und die wirtschaftliche Entwicklung oder gar das Überleben einer ganzen Mediengattung stehen auf dem Spiel. Damit einhergehend wird der Einfluss der Kunden auf die Mediengestaltung nachhaltig beeinflusst, bzw. größer und dies nicht zum Vorteil oder zur besseren Information des Zuschauers, Lesers oder Web-Surfers. Der deutsche Presserat steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber.
Wir erinnern uns noch daran, wenn Stefan Raabs TV-Sendung „Wer schlägt den Raab“ oben recht mit dem Hinweis versehen wurde: „Dauerwerbesendung“ – ähnlich wie die Verkaufssendungen die nach Sendeschluss auf den privaten Sendern ausgestrahlt wurden – und in denen diverse Produkte und “Weltneuheiten” präsentiert und abverkauft wurden.
Doch wozu ist die Presse eigentlich als unabhängige vierte Macht ursprünglich einmal eingerichtet worden? Als Kontroll- und Informationsorgan für die Gesellschaft zu der auch die Politik und Wirtschaft gehören. Kann diese Aufgabe heute überhaupt noch im ursprünglichen Wortsinn gewährleistet werden?
In meiner Zeit in den Redaktionen mehrerer Medienunternehmen, bestehend aus Print-, Hörfunk und Online-Medien musste ich feststellen, dass guter, professioneller Journalismus nicht mehr erwünscht ist. Statt dessen stehend die Kundenwünsche und deren Botschaften im Mittelpunkt.
Dabei sind betriebswirtschaftlichen Wägbarkeiten die Ursache und damit später auch als Wirkung zu erkennen. Redaktionen kosten nämlich Geld und spielen keines ein, während die Werbekunden sich ebenfalls weiterentwickeln und nach neuen Kommunikationsformen suchen und die Vertriebsunits der Medienhäuser sich entsprechend darauf einstellen. D.h. im Klartext: PR-Texte werden in Teilen wörtlich abgedruckt, Interviews von Entscheidern werden als Job-Angebot getarnt, die aber weniger von der ausgeschriebenen Stelle berichten, denn das Image aufpolieren. Was passiert, wenn Thomas Gottschalk im werbefreien ZDF einen Mercedes-Benz präsentiert und im Hintergrund ein übergroßes Haribo-Gummipärchen freundlich und schmackhaft in die Kamera lächelt?
Doch gehen wir einen Schritt weiter – in die Bundespressekonferenzen zum Thema Corona. Wir sehen die Kanzlerin, den Gesundheitsminister und weitere Regierungsvertreter oder diverse Wissenschaftler, die uns mitteilen, wie es um die bundesdeutsche Gesundheit bestellt ist. Doch sehen wir auch wie der ein oder andere Journalist eine kritische Frage stellt oder die Aussagen nachdrücklich hinterfragt?
Hinterfragen Sie die Ihnen vorliegenden Medien, Artikel, Berichte und Beiträge und schauen Sie genau hin, ob sich oben am Seitenrand nicht die Worte: „Anzeige“ oder „Advertorial“ finden. Denn Werbung als solche ist erkennbar.
Ein guter Journalist wird immer versuchen sämtliche Argumente abzubilden, objektiv zu berichten, alle inkludierten Meinungen und Vertreter abzubilden, um dem Thema eine ganzheitliche Ansicht zu ermöglichen.
All die Mühen damit sich der Medienkonsument eine eigene Meinung bilden kann. Es geht nämlich nicht darum sich nur „berieseln“ zu lassen und ein paar aufgeschnappte Argumente ohne Kontext-Verständnis nachzuplappern, es geht um selbständige Meinungsbildung, um Verständnis der Kausalitäten.
Doch diese Aufgabe liegt beim Mediennutzer. Er ist Teil des komplexen Systems aus Information, Werbung und Botschaft und der Journalist kann ihm nicht die Mühe abnehmen für ihn zu denken oder seine Meinung vorzufertigen; in kleinen schmackhaften Häppchen. Es ist der User, der Leser, der Zuschauer, der Chatter, der Poster der sich mühevoll eine Erkenntnis, eine Meinung erarbeitet. Das ist in Teilen unbequem und ärgerlich oder gar anstrengend, aber auch sinnvoll, um als mündiger Bürger zu bestehen. Sich Gedanken machen, auf Basis einer selbstauferlegten, umfänglichen Informationssachlage. Das ist wesentlich für die Meinungsfreiheit in unserer Demokratie. Es ist ein Grundrecht.
Ein Prozess, der in einer hektischen Welt sehr viel Zeit erfordert! Doch es lohnt sich – sowohl für die Journalisten wie auch für den Mediennuzter – gleich welches Medium oder Endgerät er nutzt, um die Informationen zu sichten. Denn genau die Presse und die Bürger stehen in direktem Bezug zueinander, der Eine kann und sollte niemals ohne den Anderen sein, denn sie sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig.
Erinnern wir uns an eine wesentliche Erkenntnis aus dem Deutschunterricht: These, Antithese, Synthese. Denn Meinungsbildung ist ein Entwicklungsprozess.
Über den Autor:
Marc Mutert studierte Wirtschaftswissenschaften war seit dem ausschließlich in leitenden Funktionen tätig. Zu seiner Expertise gehören Unternehmen aus den Branchen: Bürotechnik, MICE, Concert & Live-Communication, Media (TV, Print, Hörfunk, Online- und Social Media), Sport und Fitness, Tourismus und Immobilien. Davon arbeitete er über 25 Jahre für relevante Medien-Unternehmen wie bspw. den Mittelrhein-Verlag, den Verlag für Anzeigen sowie die RPR Unternehmensgruppe. Dabei konnte er sich ein breites Fachwissen in den Bereichen: Vertrieb, Event, Marketing und Kommunikation erarbeiten. Seit 2015 ist er selbständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten: Digitalisierung, Sales-Entwicklung, Omni-Channel-Marketing und Marktforschung. Dabei begleitet er die Unternehmen – meist aus dem Mittelstand – durch das komplette Changemanagement. Er steht für eine nachhaltige Business-Ethik mit ganzheitlichem Blickwinkel. Der „out of the box“-denkende Experte ist privat tief in der rheinland-pfälzischen Gesellschaft verankert und international vernetzt. Ehrenamtlich engagierte er sich als Kuratoriumsmitglied für die landesweite Sporthilfe und war Berater des Landessportbundes für Medienfragen. Bis heute ist er mit dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) verbunden und untersützt diesen. Als freier Journalist schreibt er regelmässig für verschiedene Medien. Aktuell engagiert er sich als Impfhelfer im Impfzentrum-Ingelheim.
Eine Antwort
Sehr gut dargestellt und kommentiert !! Freue mich auf den nächsten Artikel