Ingenieure des Chaos oder die Propagandamaschine Social Media

Ingenieure des Chaos oder die Propagandamaschine Social Media

Vor einiger Zeit las ich das Buch „Ingenieure des Chaos“ von Giuliano da Empoli und war schockiert und erschrocken von dem strukturierten Vorgehen mancher Interessengruppen, panikmachender Demagogen, rechter politischer Strömungen und dem systematischen Missbrauch sowie der Manipulation der Massen durch die sozialen Medien. Ziel war / ist es die eigenen Thesen zu positionieren und die öffentliche Meinung dahingehend zu manipulieren, dass Unmut und Hass provoziert werden, wissenschaftlich bewiesene Tatsachen in Frage gestellt und somit Theorien Tür und Tor geöffnet werden, die wir hinter uns gelassen hatten. Heute nun schaute ich die dazu passende Dokumentation auf Arte und der Schock kam zurück, so dass ich mich dazu gezwungen sehe, darauf aufmerksam zu machen, die sozialen Medien sollten helfen und nicht die Bühne bereiten für Polemik, Hass und Propaganda.

In einem 2006 veröffentlichten Buch erklärt Peter Sloterdijk den Ursprung der politischen Wut. Ihm zufolge entspringt es einem Gefühl der Ungerechtigkeit, Ausgrenzung oder Diskriminierung, das sich in der gesamten Gesellschaft ausbreitet. Das Buch „Die Ingenieure des Chaos” wie auch die Arte-Dokumentation „Propagandamaschine Social Media“ greifen diese These aus und belegen, anhand von Fakten, die aktuellen meinungsbildenden Strömungen, die meist aus dem rechten Lager kommend, mehr und mehr Einfluss auf die Bevölkerung nehmen.

Das Internet im Allgemeinen und die sozialen Medien, wie Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp, TikTok oder YouTube haben die Medienlandschaften in Europa nachhaltig verändert. Wir hören von Troll-Fabriken, Bots, von Hacker-Syndikaten, die massiven Einfluss auf die sozioökonomische Welt nehmen und unbewiesene Thesen als unbestreitbare Realitäten proklamieren. Das verändert – manchmal schleichend / manchmal schnell (siehe die Präsidentschaft von Donald Trump) – unseren Blick, nimmt Einfluss und greift unsere niedrigsten Instinkte auf. Laut Giuliano da Empoli, dem Autor des Buches, findet sich die Ursache hierfür in den neuen Kommunikationstechnologien, die wir überall und jederzeit über unsere Laptops, mobilen Endgeräte oder soziale Netzwerke bedienen.

Die Folgen der Technologie

Die neuen Technologien beeinflussen unsere Gesellschaft wie folgt: a) Diese beziehen sich auf die Geschwindigkeit, mit der Thesen kommuniziert und verbreitet werden und b) die Nutzung der sozialen Medien, in der jeder seine Meinung publizieren kann, gleich ob empirisch validiert oder einfach als laute Meinungsmache in die Community gepostet.

Die Geschwindigkeit, mit der wir in der heutigen Zeit unsere Bedürfnisse befriedigen können ist eigentlich unfassbar. Wir können in Echtzeit einkaufen, einen Urlaub buchen oder eine These veröffentlichen. Die neuen Technologien bedienen das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, die Plattformen verbreiten sie in nie dagewesenem Umfang. Mit diesem Prozess stieg die Ungeduld der Menschen in gleichem Maße wie die Intoleranz andersdenkenden gegenüber. Daneben erscheinen politische Entscheidungsprozesse wie aus der Zeit gefallen. Das belegt auch die Aufmerksamkeitsspanne, welche von 15 Sekunden im Jahr 2000 auf gerade mal 8 Sekunden im Jahr 2015 gesunken ist.

Menschen sind grundsätzlich soziale Wesen. Wir möchten gemocht werden, beliebt sein. Wir wissen – nicht erst seit der Facebook Whistleblowerin – dass die Nutzung von sozialen Medien Glückshormone, wie Dopamin, freisetzen und die Betreiber damit bewusst spielen, um Nutzer dieser Plattformen zu provozieren, an das Produkt zu binden und diese auszuspähen.
Beliebtheit lässt sich dort in Form von „Likes“ messen. Entsprechend agieren die Nutzer und versuchen durch eine Optimierung der Posts möglichst viel Zuneigung aus der Community zu generieren. Die Validierung durch soziale Medien war so reichlich, dass die Benutzer süchtig wurden. Die User wollen ständig mehr davon. Zudem präsentieren sich die Social-Media-Betreiber als zweite Realität, mit hoher Usability und bieten mit einfachsten Mitteln, wie dem Like-Daumen, messbare, schnelle und unkomplizierte Reaktionsmöglichkeiten.

Doch dies erzeugt ein Paradoxon, denn die User fühlen sich – einerseits – in der Online-Welt „erfolgreich“ während ihr reales Leben – andererseits – im Mittelmaß oder darunter vor sich hin dümpelt. Dieser Widerspruch provoziert in vielen Fällen Frustrationen, die in der realen Welt zu Depressionen führen können. Um diese zu vermeiden neigen Nutzer dazu sich auf anderen Seiten Befriedigung zu verschaffen, nämlich mit dem konsumieren von Waren (Kaufen) oder durch die Nutzung sexueller Inhalte (Ausschüttung von Glückshormonen). Daneben fallen viele auf haarsträubende Verschwörungstheorien hinein, wie die Q-Anon-Bewegung, die Querdenker oder „Erde ist eine Scheibe“-Theoretiker wie auch durch die Diffamierung von Minderheiten durch die populistischen Strömungen.

Psychologisch einfach nachzuvollziehen, denn die User können dann äußere Umstände für ihre Mittelmäßigkeit im realen Leben verantwortlich machen. Die Formulierungen sind wie Lock-Angebote im Supermarkt, sie triggern unsere niedersten Instinkte und provozieren emotionale Reaktionen, so gewinnen sie an Popularität und werden massenhaft geteilt. Es ist wie ein Kettenbrief und die Benutzer halten diesen Zyklus aufrecht.

Radikalisierungen im Internet sind ein bewiesenes Phänomen und wir erinnern uns an Bataclan, Charlie Ebdo, den Berliner Weihnachtsmarkt oder den Anschlag in Nizza. Dazu zählt aber auch die Polemik eines Donald Trump, der zum Sturm auf das Capitol aufrief.
Was lernen wir daraus? Hass lässt sich folglich schnell verbreiten und die Demagogen verstehen es die sozialen Medien perfide zu nutzen, die Botschaften zu kanalisieren, um ihre abstrusen Theorien zu verbreiten, zu verstärken und große Reichweiten zu generieren.

Die Populisten auf der ganzen Welt positionieren ihre Botschaften von Hass um die politischen Ziele zu erreichen.

Fazit

Der „Ingenieur des Chaos“ wie auch der Arte-Bericht öffnen einem die Augen für die Einflussnahmen verschiedenster Strömungen. Sie versuchen aus wissenschaftlicher, politischer und historischer Perspektive die Genese der Datenwissenschaftler, Ärzte und politischen Strategen zu rekonstruieren, die populistische Parteien dazu brachten, an die Macht der größten Volkswirtschaften der Welt aufzusteigen.

Durch eine intelligente aber nachvollziehbare Mixtur von aktueller Soziologie, Psychologie und Geschichte wird deutlich, wie die gesellschaftlichen Veränderungen unseren Alltag durchdrungen haben und wir sollten aufpassen, denn sonst erreichen uns Botschaften einem „Rattenfänger“ gleich und führen uns fort von Demokratie, Freiheit und Toleranz. Jeder ist dazu aufgerufen die Werte, die Europa nach dem zweiten Weltkrieg etabliert hat zu verteidigen, denn wenn Hass, Propaganda, Polemik unseren Alltag durchdringen wird es schwierig zurückzufinden. Lassen wir nicht zu, dass technische oder politische Paradigmenwechsel, Brüche und Spaltungen unsere Gesellschaft aufbrechen und deklassieren und onlinebasierte, negative Emotionen uns in die reale Welt folgen.

Das Zusammenspiel dieser technologischen Komponenten, gepaart mit Psychologie und Datenwissenschaft, könnte sonst zu einem politischen Coup oder gar Putsch werden, den die Geschichte je gesehen hat und wir erinnern uns noch zu gut an die Zeit, in der Minderheiten gesellschaftlich geächtet wurden und dies im Holocaust endete.
Die Medien – traditionelle wie digitale – sind aufgerufen die Demokratie, die Freiheit zu verteidigen und die Matrirx des Populismus abzustellen. (27.11.2021, Marc Mutert)

Quellen / weitere Informationen:
Literatur: Ingenieure des Chaos von Giuliano da Empoli
Arte:
www.arte.tv/de/video/098157-000-A/propagandamaschine-social-media/

Über den Autor:
Marc Mutert studierte Wirtschaftswissenschaften war im Anschluss daran in ausschließlich leitenden Funktionen tätig. Zu seiner beruflichen Expertise gehören namhafte Unternehmen aus den Branchen: Bürotechnik, MICE, Concert & Live-Communication, Media (TV, Print, Hörfunk, Online- und Social Media), Sport und Fitness, Tourismus und Immobilien. Zu seinen Partnern, Kunden und Arbeitgebern gehören und gehörten Unternehmen wie der Mittelrhein-Verlag, der Verlag für Anzeigenblätter sowie die RPR Hörfunkgruppe. Sein Fachwissen in den Bereichen: Produktentwicklung, Vertrieb, Event, Marketing und Kommunikation ist unwidersprochen, ebenso wie seine Erfolge. Seit 2015 ist er selbständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten: Digitalisierung, Sales-Entwicklung, Omni-Channel-Communication, Markenführung und Marktforschung. Dabei begleitet er die Unternehmen – meist aus dem Mittelstand – durch das komplette Changemanagement. Er steht für eine nachhaltige Business-Ethik mit ganzheitlichem Blickwinkel. Der „out of the box“-denkende Mensch ist privat tief in der rheinland-pfälzischen Gesellschaft verankert und international vernetzt. Bis heute ist er mit dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) verbunden und untersützt diesen. Als freier Journalist schreibt er regelmässig für verschiedene Medien. Ehrenamtlich engagierte er sich als Kuratoriumsmitglied für die landesweite Sporthilfe und war Berater des Landessportbundes in Medienfragen. Während der Coronakrise engagierte er sich als freiwilliger Impfhelfer im Impfzentrum Mainz-Bingen.

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