KI im Kopf, Kontrolle verloren: Wie Smartphones unsere Kinder entmündigen

KI im Kopf, Kontrolle verloren: Wie Smartphones unsere Kinder entmündigen

Ein Kommentar zur JIM-Studie 2025 und zur Frage: Wer erzieht eigentlich die Digital Natives – wir oder der Algorithmus? (Mutert Consulting, 17. November 2025)

Vier Stunden Bildschirmzeit am Tag. KI statt Klassenarbeit. WhatsApp als sozialer Klebstoff, TikTok als Abendroutine – willkommen im Alltag der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland.

Die JIM-Studie 2025 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ist erschienen – und ihre Zahlen lesen sich wie ein leiser Weckruf an Eltern, Pädagog:innen, Marken und Medienmacher. Inmitten digitaler Dauerbeschallung stellt sich zunehmend die Frage: Was bleibt eigentlich vom echten Lernen, Denken, Fühlen – wenn der Algorithmus schneller antwortet als der Lehrer?

Künstliche Intelligenz: Hausaufgabenhilfe oder Ersatz für Bildung?

Beginnen wir mit dem prominentesten Befund:

74 % der Jugendlichen nutzen KI wie ChatGPT für Schulaufgaben – Tendenz steigend. Noch 2024 lag dieser Wert bei 65 %. Gleichzeitig nutzen 70 % KI zur allgemeinen Informationssuche, was einem Zuwachs von 27 Prozentpunkten entspricht. Damit liegt ChatGPT bereits auf Platz 2 der Recherchewerkzeuge hinter klassischen Suchmaschinen.

Und ja: 57 % halten KI-Informationen für vertrauenswürdig – was je nach Quelle entweder ein Fortschritt oder eine stille Tragödie ist. Denn: Wer redaktionelle Qualität von automatisierter Textsynthese nicht mehr unterscheiden kann, wird anfällig für Fake News, Bias und Desinformation.

Schlaflos durch Scrollen: Wenn das Handy wichtiger ist als die Matratze

Smartphones sind der verlängerte Arm des Selbst. Die durchschnittliche Bildschirmzeit liegt laut JIM-Studie bei 3,9 Stunden pro Tag – bei den 18- bis 19-Jährigen sogar bei 4,6 Stunden.
Besonders kritisch: 68 % der Jugendlichen geben zu, ihre Handynutzung nicht kontrollieren zu können. Ein Drittel sagt, sie seien morgens oft zu müde, weil das Smartphone bis spät nachts in der Hand lag.

Kurz gesagt: Die Jugend weiß, dass sie zu viel online ist. Aber sie schafft es nicht, sich zu entziehen. Das ist kein individuelles Versagen – das ist Systemdesign, das auf Dopamin und Aufmerksamkeit gebaut ist.

Zwischen TikTok-Realität und Fake News: Vertrauen in Zeiten der Timeline

Die KI ist nicht nur Helfer beim Hausaufgabenmachen. Sie ist auch Verstärker für problematische Inhalte:
67 % der Jugendlichen berichten, in den letzten vier Wochen Fake News begegnet zu sein.

Besonders auffällig ist, dass viele Jugendliche Influencer:innen folgen, die Nachrichten verbreiten – bei den 16- bis 19-Jährigen sind es fast 50 %.
Was das für die Meinungsbildung bedeutet, liegt auf der Hand: Wenn Reichweite wichtiger ist als journalistische Sorgfalt, kippt Information in Meinung und Meinung in Meme.

Zwischen Lernlust und Kontrollverlust: Was nun?

Natürlich: Nicht alles ist dystopisch. Viele Jugendliche erkennen selbst, dass sie zu viel Zeit am Handy verbringen. Zwei Drittel genießen sogar bewusste Offline-Zeiten.
Aber: Nur ein Drittel schaltet das Smartphone auch tatsächlich regelmäßig aus.

Und hier beginnt die gesellschaftliche Aufgabe:
Erziehung, Bildung und Medienpädagogik dürfen sich nicht auf Medienkompetenz-Workshops und Aufklärungspodcasts beschränken. Sie müssen Strukturen bieten, in denen digitale Selbstkontrolle überhaupt möglich wird – und das beginnt zu Hause, geht durch die Schule und endet nicht in der Verantwortung von Plattformen allein.

Was wir daraus für Beratung, Markenstrategie und Medienbildung lernen:

  1. Digitalität ist Alltag. Wer junge Zielgruppen erreichen will, muss deren Mediennutzung verstehen – und mitdenken, dass Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist.
  2. Vertrauen ist Währung. Marken, die Klarheit, Kontext und Verlässlichkeit bieten, werden langfristig gewinnen. KI-Texte ohne Quellenangabe werden keine Loyalität erzeugen.
  3. Formate müssen angepasst werden. TikTok, YouTube Shorts und KI-Bots werden nicht verschwinden – aber man kann sie mit Qualität füttern. Wer gute Inhalte systemkompatibel macht, bleibt sichtbar.
  4. Medienkompetenz ist Zukunftskompetenz. Unternehmen, Schulen und Plattformen sind mitverantwortlich dafür, jungen Menschen Filter, Orientierung und digitale Selbstkontrolle an die Hand zu geben.

Fazit: Zwischen KI-Klasse und Katzenvideo

Die JIM-Studie 2025 zeigt eine junge Generation, die digitaler ist als je zuvor – und gleichzeitig verletzlicher. Wer heute Verantwortung trägt – ob als Elternteil, Unternehmen, Medienhaus oder Berater – darf diese Entwicklung nicht nur beobachten, sondern mitgestalten.

Denn die Zukunft wird nicht dadurch besser, dass wir Technologie verteufeln – sondern indem wir ihr kluge Regeln, echte Werte und ein bisschen Menschlichkeit entgegensetzen.

Quelle:JIM-Studie

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.